Ärgernis: Profis in Reserve-Teams

In Leer dabei: Profi Christian Claaßen (VfL Osnabrück)

Von Mario Rauch
Oktober 2003: Da staunten die gut 400 Zuschauer am Hoheellernweg bei der Partie Germania Leer gegen die Amateure des VfL Osnabrück vor 2 Wochen: Bei den Lila-Weißen liefen mit Ochs, Zimmermann, Tammen und Claaßen gleich vier Spieler aus dem Profi-Kader der Osnabrücker auf. Sicherlich ist es interessant, solch bekannte Bundesligaspieler wie Claaßen (ehemals Meppen) oder Tammen (ehemals Unterhaching) auch mal auf Leeraner Rasen kicken zu sehen. Gleichwohl hat die Sache natürlich einen großen Haken: "Das ist klare Wettbewerbsverzerrung", zeigt sich Axel Woldenga, Fußball-Obmann von Germania Leer, unzufrieden mit der Situation. Denn wenn das Profi-Team am Spieltag der Amateure spielfrei hat, werden gerne Profi-Kicker zur Reserve geschickt. So geschehen beim Spiel von Osnabrück in Leer. Die Osnabrücker Profis hatten bereits zwei Tage zuvor gegen Duisburg gespielt. Es geht noch extremer. Das mußte Concordia Ihrhove in der Oberliga feststellen. Beim Gastspiel bei den Wolfsburg Amateuren liefen gegen die Westoverledinger sechs Spieler aus dem Bundesliga-Kader auf, unter anderem auch Roy Präger. Möglich wird das durch eine Regel-Änderung aus dem Jahr 2002. Die in der Deutschen Fußball-Liga (DFL) organisierten 36 Bundesligisten können für ihre Reserve jetzt so viele Berufskicker aufbieten, wie sie wollen. Für "völligen Schwachsinn" hält Axel Woldenga diese Regelung. Germanias Fußball-Obmann weiter: "Theoretisch können die Amateur-Truppen mit einer kompletten Profi-Elf auflaufen." Und sogar so etwas ist schon fast vorgekommen. Im Oberliga-Spiel zwischen den Alemannia Aachen Amateuren und Velbert (3:1) kamen 10 Aachener Profis zum Einsatz. "Insbesondere am Ende der Saison werden vermehrt Profis in den Reserve-Teams eingesetzt", erklärt Axel Woldenga. Denn in der entscheidenden Phase wollen die Verantwortlichen ihrem Amateur-Team noch einmal einen Schub geben - zum Leidwesen des Gegners, der es plötzlich mit einem halben Profi-Team zu tun hat, während ein anderer Liga-Konkurrent in der Vorwoche noch gegen eine ganz "normale" Amateur-Abteilung eines Proficlubs angetreten ist. Der Sprecher des DFB, Harald Stenger, hält den erbosten Amateuren entgegen, dass es das Ziel der Regelung sei, "jungen deutschen Profis bei den Reserven die Spielpraxis zu ermöglichen, die sie in der Bundesliga nicht immer bekommen". Darüber hinaus hätten Rekonvaleszenten in den Regional-, Ober- und Verbandsligen die Gelegenheit, unter Wettkampfbedingungen in Form zu kommen.
Die Empörung der Amateurklubs, die es, wenn sie Pech haben, mit Heiko Herrlich, Lars Ricken (spielten schon mehrfach für die Dortmund-Amateure), Christian Rahn (muß öfter bei den HSV-Amateuren ran), Roy Präger oder Christian Claaßen zu tun bekommen, kann Stenger nicht verstehen: "Man muss auch das große Ganze sehen. Das ist eine sinnvolle Maßnahme, um auch WM-Spieler für 2006 aufzubauen." Solch fadenscheinige Argumente lassen Vertreter von Amateur-Clubs jedoch nicht gelten. Stefan Funk vom Süd-Regionalligisten Schweinfurt 05 sagt beispielsweise: "Das neue Statut zeigt die Wertschätzung, die der Amateurfußball beim DFB und in der DFL genießt. Die halten uns für ihre Spielwiese." Das nagt am Selbstwertgefühl, schließlich sind viele Amateur- und Halbprofivereine wie auch Germania Leer und Concordia Ihrhove regional stark in der Bevölkerung verankert. Doch für den Unterbau in den dritten, vierten und fünften Spielklassen fehlt dem DFB seit der Einführung der Bundesliga jedes schlüssige Konzept. "Die eiern seit 40 Jahren rum", schimpft Funk.
Unlogisch ist in dem Zuge der Einsatzfreigabe von Spielern in Reserve-Teams, dass Amateur-Teams abwärts der Verbandsliga (also auch Germania Leer) ihre Spieler, die auch schon in der "Ersten" Erfahrung sammelten, nicht uneingeschränkt in der Reserve einsetzen dürfen. Die Spieler sind bei einem Einsatz für das entsprechende Team "festgespielt" und dürfen 14 Tage oder 2 Spiele nicht in einem anderen Team des Vereins kicken. Doch nicht nur das Argument der Wettbewerbsverzerrung spricht gegen Reserve-Teams in den Regional-, Ober- und Verbandsligen. Denn die Reserve-Teams werden in ihren Heimatorten zumeist stiefmütterlich behandelt. Höhere Zuschauerzahlen werden im heimischen Stadion nur erreicht, wenn der Gast viele Fans mitbringt. Und so ist es nicht selten, dass beispielsweise die Amateure des VfL Wolfsburg oder des VfL Osnabrück nur vor 80 oder weniger Zuschauern spielen. Auch in der Regionalliga sieht es nur besser aus, weil viele Gäste großes Fanpotential aufbieten und so für höhere Zuschauerzahlen sorgen: "Umso erschreckender, dass Traditionsclubs wie der VfB Oldenburg oder der SV Meppen in der Oberliga spielen müssen, während Reserve-Teams die Plätze in der Regionalliga einnehmen", meint auch Axel Woldenga. Inzwischen hat sich im Internet Widerstand unter dem Motto "Amateure ohne Profis" formiert. In den Stadien protestieren die Fans mit zahlreichen Aktionen und Spruchbändern gegen die Einsätze von Berufskickern in Reserve-Teams und die damit verbundene Wettbewerbsverzerrung, die die unattraktiven Amateur-Abteilungen erstarken lässt, während Traditionsclubs ums Überleben kämpfen.